Oswald Jaeggi (1913-1963)

 jaeggi1Untrennbar mit dem Namen der Kantorei „Leonhard Lechner“ verbunden ist der Name von P. Oswald Jaeggi OSB (1913-1963). Der gebürtige Schweizer hat die von Dr. Anton Mayr gegründete Kantorei zu dem gemacht, was sie bis heute geblieben ist. Oscar Jaeggi wurde am 3. Januar 1913 in Basel geboren. Schon früh zeigte sich seine musikalische Begabung. Als Zwölfjähriger durfte er bereits die Aufführung seiner „zweiten Komposition“, eines zweistimmigen Tantum ergo, durch seinen Lehrer Otto Rippl erleben. Im Stiftsgymnasium in Einsiedeln, in das Oscar 1927 eintrat, wurde seine Musikalität weiter gefördert. Nach dem Abitur trat er in das Noviziat der Benediktinerabtei Einsiedeln ein und nahm den Klosternamen Oswald an. Fortan unterrichtete er an der Stiftsschule und leitete dort einen kleinen Chor. Daneben erhielt er weiterhin Unterricht in den Fächern Gesang, Chorleitung, Harmonielehre und Kontrapunkt bei P. Otto Rehm.

Nach seiner Priesterweihe ging er 1937 zum Studium an die Päpstliche Musikhochschule nach Rom. Sein erster Kompositionsgrundsatz, dem er sich während seiner Zeit als Stiftsschüler in Einsiedeln verpflichtet fühlte, lautete: Die Besetzung soll möglichst groß sein, und jedes Instrument soll mindestens einmal singen können.

Die Werke, die er nach dem Abitur komponierte, folgten seinem zweiten Kompositionsgrundsatz, den er in folgende Worte kleidete: „Adam und Eva haben erst gesprochen, dann kam später ein unglücklicher, fantasieloser Mensch und schrieb eine Grammatik.“ – Diese Aussagen kann man in einem 1957 in der Zeitschrift „Musica Sacra“ erschienenen Selbstportrait P. Oswald Jaeggis nachlesen. Während der Studienzeit in Rom kam er zu seinem dritten und letzten Kompositionsgrundsatz „Ausdruck ist Form“.

Bedingt durch den Kriegsausbruch in Italien kehrte P. Oswald Jaeggi 1940 in die Schweiz zurück und unterrichtete wiederum an der Stiftsschule in Einsiedeln. 1947 trat er die Nachfolge von P. Otto Rehm als Stiftskapellmeister von Einsiedeln an. Im gleichen Jahr vollendete er auch seine Doktorarbeit über den „Codex Einsiedeln 366 und seine Stellung in der Einsiedler Musikgeschichte“. 1948 promovierte er in Rom bei Higino Anglès. Nach kurzer Tätigkeit in Hauterive kam P. Oswald Jaeggi 1950 nach Bozen in die Benediktinerabtei Muri-Gries, wo er bis zu seinem Tode wirkte und die fruchtbarste Zeit seines Lebens verbrachte.
Zunächst bestand seine Aufgabe darin, dem kranken Stiftskapellmeister Dr. Anton Mayr zu vertreten. Nach dessen Tod im Jahre 1952 wurde P. Oswald Jaeggi zum Stiftskapellmeister und Leiter der Kantorei „Leonhard Lechner“ berufen. Mit der Gründung des Kammerchores „Leonhard Lechner“ verwirklichte er den Traum seines Amtsvorgängers Dr. Anton Mayr. Unter seiner Leitung erlangte der neu gegründete Kammerchor schon bald internationalen Ruf.
In Südtirol wirkte Jaeggi nicht nur als Kirchenmusiker in Muri-Gries, sondern auch als weithin geschätzter Musiksachverständiger, Liedbegleiter, Tenorsolist, Organist und Verfasser von Musikartikeln für Fachzeitschriften, die meist durch kernige, manchmal auch bewusst provokativ formulierte Aussagen aufrüttelten. In musikalisch-liturgischer Hinsicht zählte er sicher zu den Wegbereitern des Zweiten Vaticanums, und an der Herausgabe des neuen Gebet- und Gesangbuchs „Unser Gotteslob“ war er maßgeblich beteiligt.
Auch als Komponist genoss P. Oswald Jaeggi ein hohes Ansehen weit über die Landesgrenzen hinaus. Sein Werkverzeichnis umfasst 7 Ordinariumsvertonungen, 16 Proprien, über 150 Motetten, Cantica, Hymnen, Leitverse, Lieder und Liedsätze, 24
Orgelwerke, 5 Klavierstücke, 17 Instrumentalkompositionen, rund 40 weltliche Vokalwerke und 7 Bühnenwerke, darunter die bis heute der Uraufführung harrende Oper „Thomas
Morus“. Viele Werke entstanden nach konkretem Bedarf, und oft erfolgte die Fertigstellung derselben erst wenige Stunden vor der Uraufführung.

1960 veröffentlichte Egon Schwarb an der Musikakademie Zürich zum Abschluss der Formenlehre mit „H. H. Pater Oswald Jaeggi. Sein Leben und Werk“ einen ersten umfassenden Überblick über Leben und Werk Oswald Jaeggis. Darin zitiert Schwarb auch eine Selbsteinschätzung Jaeggis: „Eigentlich sollte ich mehrere Personen in mir vereinen können: Den einen Oswald setzte ich ein für sämtliche administrativen Arbeiten, den zweiten für Orgeldienst und Proben und den tüchtigsten dritten setzte ich hinter das Notenpapier.“ Dieser Aussage folgt das Zitat: „Tagtäglich versuche ich, alle meine Pflichten zu erfüllen. Wenn ich alles schreiben will, was ich schon sozusagen versprochen habe, dann brauche ich ungefähr sechs Jahre. Möge mir Gott Leben und Kraft geben dazu!“, welches sich auch in dem 1957 im Cäcilienvereinsorgan „Musica Sacra“ veröffentlichten Selbstporträt findet. Tatsächlich starb Oswald Jaeggi sechs Jahre später, am 25. April 1963, nach einer längeren fiebrigen Erkrankung im Kantonsspital von Glarus an einer Lungenembolie. Sein Tod hinterließ eine große Lücke nicht nur in Südtirol, sondern im gesamten deutschen
Sprachraum. Die Pflege seines Andenkens und im Besonderen die Aufführung seiner Werke ist für die Kantorei „Leonhard Lechner“ bis heute ehrenvoller Auftrag und Verpflichtung.

Mag. Ursula Torggler